Mit dem Kompass der Heilung durch die Mecklenburgische Seenplatte

Hier lest Ihr die Texte aus dem Pilgerblog des Geh-Danken-Wegs 2025. Sie sind Zeugnis von Menschen, die Euch hier an Ihren Erlebnissen, Eindrücken und Erkenntnissen teilhaben lassen.

Ich danke Ihnen von Herzen für ihren Beitrag.

Judith Kroy

Start in Leppin

Die Einführungsrunde ist in vollem Gange.
Der erste Nachmittag dient dazu, alle Teilnehmenden gut in Kenntnis zu setzen, über das, was sie auf dem Geh-Danken-Weg erwarten wird. Die Pilger*innen erfahren, welches Material ihnen für die Tage dienen kann und können sich versorgen.
Es gibt Pilgeraltäre, Buttons, Armbänder, Tagebücher und Taschen für die Dinge, die schnell griffbereit sein müssen.

Wir kommen ins Gespräch, über die Region, durch die wir laufen.
Wir tauschen uns darüber aus, wie die “katastrophalen” Ereignisse eine Landschaft prägen können. Die enormen Gletschermassen haben diese Landschaft, durch die der Geh-Danken-Weg führt, geformt. Wir nehmen das Thema auf und fragen uns: auch unsere traumatischen Erfahrungen prägen unser Leben. Sie liegen oftmals lange zurück und sind uns nicht mehr bewusst, haben uns aber zu der Person gemacht, die wir heute sind. Auf dem Pilgerweg gehen wir dem nach, was uns geprägt hat, wie wir sind und wirken und können uns fragen, wir gerne sein würden.

Jeden Tag laufen wir in einer Haltung aus dem Kompass der Heilung, der uns darin führt, ein persönliches Thema auf diesen Weg zu verfolgen.

1. Pilgertag – Von Leppin nach Neubrandenburg: Haltung der Achtsamkeit

Heute geht es los mit einem sehr berührenden Segen in der Kirche, den Uwe für die Pilger*innen spricht. „Seid Euch gewiss, mit jedem Schritt, den ihr machen werdet, seid ihr begleitet von der Liebe, dem Schutz und der bedingungslosen Unterstützung durch Eure Begleiter*innen.“

Aufbruch in der Kirche, die letzten Rucksäcke werden eingestellt, Schuhe gewechselt und Regenkleidung angezogen, denn der Himmel ist dunkel bewölkt. Gleich am Morgen hat es geregnet. Wie durch ein Wunder bleibt die ganze Gruppe vom Regen verschont. Die Sonne wirft einen Streifen auf sie, die dunklen Wolken ziehen in eine andere Richtung.

Am Abend bietet die Friedenskirche in der Oststadt eine erste Herberge. Bevor Heiko in den Kompass der Heilung einführt, ist Zeit für ein erstes Gespräch.

Achtsamkeit bringt Dich in Einsicht – Sich besinnen

Eine Pilgerin berichtet: Ich spüre seit heute Morgen eine innerliche Kälte. Ich fühle mich verletzt und wenn ich dem nachgehe und darauf meine Achtsamkeit lenke, dann ist die Wunde in mir groß und existenziell. Sie rührt daher, dass ich Menschen in der Begegnung  einen großen Vertrauensvorschuss gebe, mein Herz ist dann ganz offen. Diese Menschen handeln aus Liebe, aber ihre Zuwendung ist immer an Bedingungen geknüpft. Das tut innerlich so weh, dass ich Angst habe, mich dem zu stellen. Gleichzeitig gibt es in mir eine Instanz, die mir diesen Schmerz und die Trauer verbietet und mich anhält, dass es jetzt ja mal gut sein kann. Denn solange ich keine Erinnerungen dazu habe, woher dieser Schmerz rührt, habe ich wie kein Recht darauf. Ich weiß jedoch, dass ich an diese Wunde muss. Was dort verborgen liegt, kann ich in seinem Ausmaß nur ahnen. Mein Respekt vor diesem Schritt ist groß. Ich will und muss das fühlen, es lediglich zu verstehen, reicht nicht, dann betrüge ich mich selbst. Wo ist mein Raum, dass ich das fühlen darf? Denn um diesen Schmerz nicht zu spüren, verausgabe ich mich in meinem Leben bis zur absoluten Erschöpfung.

Ich bin dabei, wahrzunehmen, was sich zeigen will. Es ist ein Anfang

2. Pilgertag -Von Neubrandenburg nach Pekatel: Haltung der Demut

Heute fährt ein Shuttle die Pilger*innen nach Alt Rhese. Die Leppiner Gemeinschaft ist beteiligt und bringt alle wohlbehalten mit verschiedenen Fahrzeugen zum Startpunkt.

Der Tollense-See lädt ein zu einem erfrischenden Bad und der Weg führt durch eine waldreiche Strecke. Die letzten Meter vor dem Ziel wird es noch einmal beschwerlich, denn es geht über Asphalt.

Demut bringt Dich in die Aufrichtigkeit – sich stellen

Ein Pilger berichtet

Ich war heute nicht so mutig, der Tag begann für mich zäh und ich fühlte mich richtig schlecht. Meine Begleiter*innen hatten mir eine Aufgabe gegeben: ich sollte meine Urteile über gefühlvolle und verlässliche Männer aufschreiben. Das gelang mir nicht sonderlich gut, denn ich fühlte einen hohen Druck, fühlte mich dumm und schämte mich, es nicht besser hinzubekommen.

Je stiller ich wurde, umso massiver wurden meine Selbsturteile. Ich wäre am liebsten weggelaufen. Ich konnte auf einmal Verständnis aufbringen, wie sich Menschen fühlen, die in einer ausweglosen und überfordernden Situation sind, wo sie nicht wissen, wie es weitergehen soll. Genauso ging es mir jetzt. Ich kam nicht weiter mit meiner Aufgabe.

Warum ist das so? Weil es mir schwerfällt, neue Wege zu gehen, die nicht vorgegeben sind. Vor allem, wenn ich sie allein gehen muss. Ich war in diesem furchtbaren Gefühl und bekam von meinen Coaches zwei Stöcke in die Hand, die mir helfen sollten, diesen Moment durchzustehen. Ich wurde ruhig, durch das, was ich in der Hand hatte, und bekam eine Idee davon, wie es ist, wenn man sich Mittel sucht, die beruhigen und das Leben besser aushalten lassen, weil man nicht weiterweiß.

Mein großes Thema wurde mir klar und warum ich darin nicht weiterkomme. Nach dem Tod meiner Mutter habe ich meine Lebendigkeit verloren. Es war auf einmal so still bei mir zuhause, alles Leben war gewichen und es herrschte Schweigen. Niemand stand mir bei. Ich verstehe jetzt, dass ich meine Lebendigkeit, meinen Mut und meine Kraft nur wiederfinde, wenn ich Hilfe von Anderen bekomme. Darum will ich bitten. Und ich will helfen: ich will Menschen, die mir nahestehen, darin begleiten, wenn sie nicht wissen, wo es lang geht. Ich will da sein, denn es heilt mich auch, wenn ich für andere da sein darf in den Momenten, wo es nicht weiterzugehen scheint.

3. Pilgertag – von Peckatel nach Fürstenberg: Haltung der Annahme

Nach einer bewegenden und berührenden Einführungsrunde in den Tag starten wir in Richtung Fürstenberg. Wir kommen durch Wälder und an Seen vorbei. In Neustrelitz treffen wir uns in einem Café zu Eis und Kaffee bevor wir den Zug nach Fürstenberg nehmen. Heute Abend erwarten wir noch Gäste und hören den Vortrag von Judith zum Thema Versöhnung.

Annahme bringt Dich ins Mitgefühl – sich fühlen

Eine Pilgerin berichtet

Schon gestern ging es um den Schmerz meiner Kindheit, ihn zu sehen und wahrzunehmen. Das hat nicht gut geklappt. Ich nehme diese Aufgabe also mit in den Tag der Annahme.

Bereits gestern Abend hatte ich ein Bild für diesen Schmerz, der mich beschäftigt. Ich stehe in einer Schüssel und der Schmerz läuft wie Wasser an mir runter und ich kann darin stehen. Ja darum geht es, in diesem Schmerz stehen zu können.

Meine Begleiter*innen gaben mir die Aufgabe, mich vor meinem Schmerz zu verneigen, einen Kniefall zu machen. Das fiel mir schwer, da ich es als demütigend empfand. Ich fühlte mich auch heute nicht gut verbunden auf meinem Weg, wie ein verlorenes, nicht gesehenes, einsames Kind. Ich war allein, kein Pilger war mehr zu sehen. Dann stolperte ich und verknackste mir den Fuß, niemand war da, ich war verloren wie damals in meiner Kindheit, ich war allein, niemand sah mich. Da war er – der Schmerz meiner Kindheit – ich konnte ihn fühlen. Dann endlich konnte ich schreien und ging ganz automatisch in die Knie, verneigte mich vor meinem Schmerz. Der Schrei hat meinen kindlichen Schmerz ausgedrückt über das Vergangene. Ich war erschöpft, aber kurz danach traf ich auf meine Begleiter*innen. Ich erzählte ihnen was mir widerfahren ist, aber dass ich glaube, dass es noch was zu tun gibt. Denn mein Gefühl war, dass ich immer noch in der Schüssel aus meinem Bild vom Vorabend stand. Ich brauchte noch ein Ritual. Ich stellte mich vor meine Begleiter*innen und sprach: “Ich werde gesehen. Ich bin da!” Nach diesen Sätzen von mir kehrte Ruhe ein. Die Erlösung kam jedoch erst, als die Begleiter*innen mir sagten, dass sie mich sehen und erkennen. Ich verstehe ich bin nicht allein und verloren. Ich habe Menschen um mich die mich sehen und erkennen. Eine Mitpilgerin verband mich durch ihre Berührung mit meinen Wurzeln und mein Begleiter segnete mich. Ich konnte endlich meine Wurzeln spüren und habe nun die Gewissheit, dass ich, wenn ich verbunden bin, auch meine Kraftquelle spüre für meinen Weg, meinen göttlichen Funken.

4. Pilgertag – von Fürstenberg über Ravensbrück nach Lychen: Die Haltung der Dankbarkeit

Der Vortragsabend schwingt noch nach. Judith sprach zum Thema Versöhnung und Henning und Heiko lasen kurze Passagen aus Heikos Pilgerbuch über den 1. Pilgerweg entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. In Anschluss bot die Kirche in Fürstenberg einen Raum, sich in Gruppen zum Thema Versöhnung auszutauschen.

Heute gehen wir nach Ravensbrück. Weil uns die Führung kurzfristig abgesagt wurde, übernimmt Heiko, über den Ort zu erzählen. Ein Teil unserer Geschichte, an dem Ausgrenzung, Erniedrigung und Vernichtung geschah. Wir halten inne und gedenken der Menschen, die hier ihr Leben ließen.

Dankbarkeit bringt Dich in die Versöhnung – sich vergeben

Eine Pilgerin berichtet

Es ist alles ungewohnt für mich, wenn keine Stimme in mir ist, die mich runtermacht. Ich verstehe heute, dass ich keine Wurzeln habe, ich stehe auf keinem stabilen Grund. Alles fällt durch mich hindurch und auch ich falle ins Bodenlose. Mein Weg beginnt mit einem ängstlichen Gefühl.

Heute soll ich mich meinem inneren Kind zuwenden und es an die Hand nehmen. Ich fühlte mich klein. Hinter mir lief eine Pilger*in, die meine Kleine darstellen wollte.

Ich wurde sehr wütend und wollte mich am liebsten im Wald in einer Höhle verstecken. Ich erzähle, dass ich Mittel zum Zweck war in meiner Familie und ein Leben lebe, dass nicht meins ist. Ich bin so verzweifelt und darüber gehe ich in die Wut. Deswegen verläuft alles so chaotisch in meinem Leben. Ich wusste nicht, welchen Weg wir gehen sollten, meine Begleiter waren immer wieder mit anderen Menschen beschäftigt. Dieses Gewusel um mich herum und dass es nicht um mich geht, kenne ich aus meinem Leben zur Genüge. Ich laufe hier rum und weiß gar nicht, was das hier alles soll.

Ich will noch einmal in mein Leben geboren werden. Ich will was war hinter mir lassen. Ich habe meine Eltern symbolisch in ein vorbeifahrendes Auto gesetzt. Ich brauche sie nicht und habe sie verabschiedet. Ich lief weiter und wurde immer freier. Ich befreite mich von meinen Übertragungen auf meine Begleiter und sprach sie noch einmal mit ihren Namen an. Ja, hier sind Menschen, die mir glauben, mir zuhören. Ich will geboren werden und noch einmal beginnen.

Diesmal fühlt sich der Pilgerweg viel leichter an, weil ich Menschen an meiner Seite habe. Meine Freunde versichern mir: sie sind da! Ich bin in meinem neuen Leben nicht allein! Sie stehen mir zur Seite und ich spüre meine Würde. Sie ist eine kleine zarte Pflanze. Es ist still in mir. Ich beginne, meine leisen Impulse zu spüren. Ich will nicht mehr in die Starre verfallen und mich zurückziehen. Auch wenn es nicht leicht wird: Dieser Herausforderung stelle ich mich. Ich wähle Verbundenheit.

5. Pilgertag – Von Lychen nach Feldberg: Die Haltung Vertrauen

Heute sind wir später los, gegen Mittag nach einer ausgiebigen Morgenrunde brechen wir auf. Am Abend hatten wir noch einen Film im alten Kino in Lychen geschaut. Es tat gut, mal einfach nur zu sein und sich auszuruhen. Das Küchenteam aus Leppin hatte voll aufgefahren: Kartoffelsalat, Obazda und selbstgebackene Seelen. Dieser Abend ist kulinarisch immer ein besonderes Fest.

Vertrauen bringt Dich in die Lebenslust – sich erlauben

Eine Pilgerin berichtet

Mein Thema war heute Hochmut.

Eine Mitpilgerin lachte gestern Abend lauthals über etwas, was sie sehr komisch fand. Erst habe ich sie nicht verstanden, dann bin ich mit einem Thema in Berührung gekommen. Ich hatte als Kind sehr häufig große Lachanfälle, für die ich aus der Kitagruppe oder aus der Schulstunde geworfen wurde. Mein Begleiter wollte wissen, was es mit diesem Muster von mir auf sich hat.

In unserer Morgenrunde wurde mir klar, was wohl dahintersteckt. Ich habe über einen Schmerz hinweggelacht. Es war jedes Mal eigentlich ein Schmerz, weil z.B. meine Grenzen oder die Grenzen anderer Kinder überschritten wurden. Ich habe Situationen beobachtet, die mir komisch und tragisch vorkamen und um diesen Moment aushalten zu können, habe ich gelacht. Ich überspielte mit meinem Lachen das eigentliche Gefühl von Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein oder Entwürdigung. Das passiert mit heute nicht mehr so oft, doch es passiert. Mir fiel ein, dass ich dieses Muster der Ablenkung auch aus anderen Situationen kenne. Vor einigen Jahren übernahm ich für einen mir nahen Menschen Verantwortung, die nicht meine war.

Auch damals habe ich einen großen Lachanfall bekommen, aber eigentlich war ich über die Situation sehr enttäuscht. Es gab zwischen uns immer wieder solche Momente und ich habe nie über meine eigentlichen Gefühle und Bedürfnisse gesprochen und diese immer zurückgestellt. Ich habe nie aufgeklärt, wie es mir wirklich damit ging. Ich habe den Menschen, für den ich Verantwortung übernommen habe, gedeckt und mich über ihn gestellt. Ich entwürdige einen Menschen, wenn ich etwas von ihm übernehme.

Ich fühle Scham über meinen Hochmut. In meinem Leben geschieht mir das, wenn ich Menschen die Fähigkeit abspreche, ihre eigenen Lösungen zu finden, weil ich meine, es besser zu wissen. Ich trenne mich von mir durch diese kleinen Dinge, das ich jemandem sagen will, wie etwas zu laufen hat. Ich bin arrogant, stelle mich über diesen mir nahen Menschen und dafür schäme ich mich.

Auf diesem Pilgerweg lege ich den Fokus auf meine eigenen Bedürfnisse und Gefühle und die Muster, die mich davon abhalten, sie zu spüren. Ich habe aus der Gruppe die Rückmeldung bekommen, dass ich unnahbar wirke und dass Menschen dann nicht wissen, wie sie mit mir in Kontakt kommen können. Vielleicht liegt darin auch ein Schlüssel, dass ich mich nicht zeige und nicht mit mir in Kontakt bin.

6. Pilgertag: Haltung des Mutes

von Feldberg nach Fürstenwerder durch den Regen. Heute war ein nasser Tag. Die Schuhe trocknen in der Unterkunft.

Mut bringt Dich in die Sichtbarkeit – sich zeigen

Ein Pilger berichtet

Ich laufe den Weg mit dem Thema, die Urteile, die über mich gefällt wurden und die ich zu meinen eigenen gemacht habe, anzuschauen und aufzulösen. Ich muss diese genau benennen und beschreiben können, was in mir passiert.

Ich habe in einem engen Korsett gelebt, in dem ich mich zwar geborgen und sicher gefühlt habe, aber es hat auch verhindert, dass ich neue Erfahrungen machen kann, weil ich dem Außen nicht vertraue.

Mir wird klar, dass die Urteile, die ich über Andere fälle, meine eigenen sind. Neue Erfahrungen kann ich erst machen, wenn ich frei von diesem Korsett bin.

Einer meiner Standard-Sätze auf dem Pilgerweg ist: Um mich braucht sich niemand kümmern. Am Tag des Mutes wäre es für mich wichtig, jemanden an meiner Seite zu haben, der mich begleitet in dem, was kommen wird. Zusammen mit meinem Taufkind bin ich heute Morgen gestartet.

Gleich zu Beginn merkte ich, dass ich getriggert bin und ein Thema mit Wut habe, dass mir noch nicht klar war.

Da ich den Weg nur grob kannte, bat ich einen Begleiter um Orientierungshilfe. Die ich aber nicht bekam. Ich bin so wütend geworden, weil ich keine Hilfe bekommen hatte. Wir liefen den Umweg in großer Schnelligkeit. Dann traf ich auf den Begleiter und bin geplatzt. Meine ganze Wut hat sich entladen und ich war sehr darüber erschrocken. Mein inneres Kind ist losgelaufen, mit der ganzen Wut, ich habe geschimpft und gehadert. Anne rief mit nach: Das ist Dein Leben. Ich habe verstanden, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffen muss und ich war sehr froh darüber, in dieser Situation nicht allein zu sein.

Wir haben miteinander überlegt, wie ich meine Wut auf einer anderen Weise hätte ausdrücken können. Meine Wut und meine Reaktion konnte ich mit dem Begleiter klären. Es war für mich das erste Mal, dass ich im Außen meine Wut ausdrücken konnte. Ich muss lernen, den richtigen Ausdruck zu finden und das Gefühl dahinter erkennen.

7. Pilgertag – Von Fürstenwerden nach Leppin: Haltung der Verantwortung

Die Pilgergruppe sammelt sich für den Einzug nach Leppin. Hand in Hand gehen die Pilger*innen die letzte Strecke in den Ort hinein zur Kirche, wo die Gäste für den Empfang warten. Die Glocken läuten. Umarmungen, Freudentränen, erleichterte Gesichter. Ein Weg ist geschafft. Die Gruppe ist ca. 150 km durch die Mecklenburgische Seenplatte gelaufen. Ein lebensverändernder Weg mit Erlebnissen, die in Erinnerung bleiben.

Im Heilzentrum wartet ein reiches Büffet, das Küchenteam und die Leppiner Gemeinschaft haben alles für einen Abend in Fülle vorbereitet.

Verantwortung bringt Dich zum Handeln – sich entscheiden

Eine Pilgerin berichtet

Ich bin heute vor der Verantwortung weggelaufen. Dieser Tag war mein Kindertag. Wenn ich allein gelassen werde, dann kann ich sehr gut für mich sorgen. Aber das hat auch dahin geführt, dass ich so erschöpft bin- Ich merke, dass mit zum Thema Verantwortung nichts mehr einfällt. Ich nicht mehr kann und ich will auch nicht mehr. Meine unangenehmen Gefühle der Wertlosigkeit, der Bedeutungslosigkeit, der Ohnmacht und der Verlorenheit, ich lasse sie einfach sein, akzeptiere mich ohne Macht, mein Kleinsein.

Mein Intellektualisieren soll ich lassen, hatte mir mein Begleiter empfohlen. Ich war erst empört darüber, denn es mach mich aus. Heute werde auch nicht im Ansatz versuchen zu verstehen, was um mich rum passiert. Ich muss nichts darstellen und nur mit meinem einfachen Dasein gehen. Ich gebe mir die Erlaubnis, um Hilfe zu fragen.

Mit meinem jungen Mitpilger habe ich totalen Nonsens erzählt, wir haben miteinander „geschwachsimpelt“, andere mit Beeren beworfen, Haloren-Kugeln verteilt. Zwischendurch habe ich mich an andere Pilger*innen gehängt und bekam z.B. ein Knoppers geschenkt. Wir haben an allen Obstbäumen und -sträuchern genascht, Brennnesseln probiert und „Bodenlose“ Witze gemacht. Das ist Jugendsprache. Wir haben auf alles gereimt, was uns in den Kopf kam und uns wahnsinnig amüsiert. Ich kann in so einem Zustand gut mit meinem inneren Kind da sein und bekam die Rückmeldung, dass es dann leichter wird, mit mir in Kontakt zu kommen. Ich wurde auf Schultern getragen und war 2,80 m groß. Von hier sieht die Welt ganz anders aus und es fühlte sich leicht und beschwingt an. Es war ein weich fluffiger Tag wie ein Zitronen-Tiramisu, ein echter Nachtischtag.

8. Pilgertag: Haltung der Zuversicht

In Leppin – Ernte-Tag

Heute ist der Tag der Zusammenschau. Gemeinsam mit ihren Begleiter*innen tragen die Pilger*innen ihre wesentlichen Erkenntnisse aus der Pilgerreise zusammen und schmieden Pläne für die Zeit der Rückkehr.

Zuversicht bringt Dich ins Dienen – sich hingeben

Ein Pilger berichtet

Ich hatte sehr schlechte Laune, weil ich zu lange gewartet habe, mich in der Runde zu melden. Ich wollte niemanden den Raum nehmen. Ich dachte, ich hätte den Tag vergeudet, weil ich mich auf das Falsche konzentriert habe. Ich wollte alles zusammentragen, wollte kein Detail auslassen, ganz akkurat sein. Ich habe mich bemüht, Alles richtig zu machen, weil ich glaubte, dass sei die Erwartung. Nachdem ich mich mit diesem Gefühl mitgeteilt habe, ging es mir besser.

Ich dachte, ich müsste berichten, was ich alles erlebt habe. Meine Begleiterin erinnerte mich daran, dass es wichtig sei zu formulieren, wie ich den Weg erlebt habe.

Aus dem Stand heraus fand ich dann doch viele Antworten für mich. Meine erste Antwort traf gleich den wesentlichen Punkt, um den es bei mir geht. Darin war die Antwort auf meine Fragen enthalten. Ich verpasse nichts und ich darf loslassen, ich muss nicht alles kontrollieren. Kontrolle ist eine Illusion. Das fällt mir schwer und das werde ich angehen. In meinem Leben hatte ich oft das Gefühl, nicht richtig zu sein, nicht genug zu leisten und dafür verurteilt zu werden. Das mein Wert sich nicht über mein Sein, sondern über mein Tun definiert.

Ich habe versucht, nichts falsch zu machen,

Jetzt will ich herausfinden, was ich will. Ich habe verschiedene Antworten gefunden, die alle das Gleiche bedeuten. Ich will Kontakt zu den Menschen haben, die meiner Persönlichkeit entsprechen. Ich will mich mehr trauen, ich will meine Antwort auf mein Leben finden. Das ist Verantwortung.

Ich habe meine Bedürfnisse und Sehnsüchte erfahren. Ich habe eine Menge Themen, über die ich nachdenken will. Ich habe z.B. verstanden, dass ich so viel tue, um dazu zu gehören. Damit werde ich aufhören. Ich will lieben und meine Freiheit erfahren.

Ich durfte Kind sein und habe Crêpes bekommen. Ich will lernen, mich wieder zu freuen, weil etwas für mich getan wird und ich es annehmen kann.

Ich will herausfinden, wer ich bin und was ich davon leben möchte.

Mein Weg: Wie ist das für mich als jüngste Person auf dem Geh-Danken-Weg? Bei der Frage fühle ich mich auf mein Alter reduziert. 

Ich hatte den Eindruck, nicht nur mit zwei Coaches zu laufen, sondern mit ganz vielen Menschen, von deren Weisheit ich mit meiner freudigen Neugier profitieren konnte. Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich einen gleichaltrigen Menschen gewollt hätte.

Ich hatte das Gefühl, mich jederzeit zeigen zu können, obwohl ich viele Menschen gar nicht kannte. Ich hatte auch Angst, aber war mutig und habe vertraut, dass ich mich so zeigen darf, wie ich es gerade möchte. Ich habe vertraut, dass die Menschen mich in dem Moment sehen und verstehen und mich nicht verurteilen.