Welche Schritte braucht Versöhnung?
Wie und wo können wir versöhnend wirken?
Wie kann unser Verhalten einen Unterschied machen?
Was kann unser Beitrag zur Überwindung der Trennung sein?
Den Traum von Frieden und Versöhnung haben viele Menschen. Sie gehen dafür auf die Straße, sie gründen Initiativen, sie werden aktiv im Außen.
Sie tun viel dafür, die Welt friedlicher zu machen.
Versöhnung, die für mich zum Frieden führt, beginnt bei den Menschen, mit denen ich täglich zu tun habe. Sie beginnt bei mir und bei Dir. Mit Dir kann ich mich versöhnen, wenn ich auch mich versöhnlich anschaue. Versöhnung beginnt in der Familie, in jedem Moment mit meinen Kindern, mit mir nahestehenden Menschen. Sie beginnt da, wo ich mich einem Menschen zuwende, meine Urteile beiseitestelle und es mir gelingt, Raum für Interesse aneinander zu schaffen.
Wege aus der Trennung – Wie kann Versöhnung gelingen
Wann und wo bin ich getrennt? Was bedeutet Trennung in Bezug auf Versöhnung?
In unsere Arbeit steht die „Haltung der Liebe“ im Mittelpunkt. Die Liebe ist für uns eine Haltung und kein Gefühl: Ich kann mich für die Liebe entscheiden. Die Haltung der Liebe meint: Ich sehe Dich an, ohne Urteil und will Dich verstehen in Deiner Welt. Dafür muss ich mich frei machen von Annahmen, Urteilen und Gewissheiten und offen sein, für Deine Welt. Ich bin in Verbindung, auch wenn wir unterschiedlich sind.
So ist es in unsere Alltagsbegegnungen meistens nicht. Wir haben bereits ein Bild von anderen Menschen, wir ordnen sie ein, haben eine Meinung über sie.
Wo geschieht Trennung? Wenn ich über mich und andere urteile, dann trenne ich mich.
- Wenn ich Ängste nicht spüren will, darüber hinweg gehe und eine Rolle spiele, dann trenne ich mich von mir und Anderen
- Wenn ich denke, meinen Traum von meinem Leben, nicht leben zu können, dann trenne ich mich
- Ich trenne mich von der Liebe, der Hingabe, der Leidenschaft, von meinem Weg, dem ich nicht folge, weil ich meine, andere Dinge seien wichtiger und dass das, was ich träume, sowieso nicht geht, weil ich das meinen Eltern, meinem Partner, etc. nicht zumuten kann
- Ich trenne mich im Urteilen über andere Menschen, die vielleicht etwas leben, was ich mir selbst versage. Das Urteilen verschafft meiner Wut über meinen eigenen Verzicht Linderung
- Das Urteilen verschafft meiner Angst vor mir fremden Menschen, Dingen, Herausforderungen, Linderung. Auf Kosten andere gebe ich meiner Angst einen guten Grund.
- Wenn ich meine Wünsche und Bedürfnisse zurückstelle, bis ich sie gar nicht mehr spüre, dann trenne ich mich
- Ich trenne mich, wenn ich in Ersatzbefriedigungen suche, z.B. im Alkohol, in der Arbeit, in Extremen
- Ich mache eine gute Miene, auch wenn ich innerlich koche, ich bin nicht ehrlich zu anderen, ich drücke nicht aus, wie es mir wirklich geht, um des lieben Friedens willen
- Wenn ich meinen Kindern gegenüber Verhalten rechtfertige, dass die eine oder andere Strafe ihnen ja nicht schade, dann trenne ich mich von meiner Zuwendung
- Wenn ich meinen Partner/meine Partnerin bevormunde, kritisiere und ihm/ihr vorschreibe, was er/sie zu tun hat, dann trenne ich mich
- Wenn ich mich überfordere und über meine Grenzen gehe, dann trenne ich mich von mir
- Wenn ich beharre, dass ich Recht habe und meine Meinung als Wahrheit gegenüber anderen durchsetzen will, dann trenne ich mich
- Wenn ich mit Menschen zusammen bin und mich nicht traue, Dinge, die mich stören, die mich verletzten, die mich immer wieder umtreiben, ärgern, aufregen, anzusprechen, dann bin ich nicht in Verbindung. Es trennt mich vom anderen, wenn ich nicht ausdrücken kann, was mir wichtig ist, wenn meine wahren Gefühle keinen Platz haben zwischen uns, weil ich keinen Kontakt zu ihnen habe
Versöhnung geht in Schritten:
Sie beginnt mit Fragen: Mit welchem Thema in mir bin ich nicht versöhnt?
Kann ich mich darin annehmen? Kann ich meine Täterschaft erkennen und mein Opfer-Sein akzeptieren?
Kann ich unterscheiden: wo bin ich Opfer der Umstände und wo werde ich zum Täter an mir und Anderen?
Was bedeutet Annahme? Ich nehme es zu mir und halte es aus, mit allen Gefühlen, die sich in mir zeigen!
Dann fälle ich eine Entscheidung, die mich zur Versöhnung führt: Ich ändere mein Verhalten mir und anderen gegenüber
Ein neuer Weg darf sich zeigen.
Vergebung und Versöhnung
Der Weg der Versöhnung hat zwei Stufen: die Vergebung und die Versöhnung.
In der Vergebung bin ich auf mich gestellt, es kann ein eigener innerer Weg sein.
Vergebung ist: ich anerkenne, wo ich Opfer und der Situation ausgeliefert war oder wo ich mich als Täter durch mein Tun schuldig gemacht habe.
Dem Täter gehört die Schuld, dem Opfer die Scham. Die Hilflosigkeit, die das Opfer-Sein mit sich bringt, ist schwer auszuhalten. Lieber suche ich einen Teil der Schuld bei mir, als mich in meiner Hilflosigkeit und meinem Ausgeliefert-Sein auszuhalten. Aber, das Opfer trifft keine Schuld, denn es konnte nichts dafür.
(Gerade las ich über Gisele Pelicot – Die Scham muss die Seite wechseln… darüber werde ich weiter nachdenken)
Ich stelle mich dem Geschehen und will verstehen, mich erkennen, meine Hilflosigkeit begreifen und zu mir nehmen. Ich kann mir vergeben und meinen eigenen Frieden finden. Ich kann dem Täter vergeben, damit es in mir friedlich werden darf. Ich werde aktiv für mich und trete aus dem Opfer-Sein hinaus, ohne es zu verdrängen oder klein zu machen. In der Vergebung finde ich meinen inneren Frieden. So war es – so und nicht anders!
Der Täter war aktiv und muss sich der Schuld, die er auf sich geladen hat, stellen. Für meine Tat gibt es keine Rechtfertigung, keine Erklärung, keinen guten Grund für mein Verhalten.
Wenn Eltern ihre Kinder schlagen, dann gibt es dafür keinen Grund. Wenn Staaten andere überfallen und in einen Krieg zwingen, dann laden sie die Schuld auf sich. Wenn wir Menschen ausgrenzen und ihnen ihre Würde absprechen, dann trennen wir uns von unserem Menschsein.
Versöhnung ist für uns ein beidseitiger Weg, der auf die Vergebung folgt:
Auf dem Weg in die Versöhnung bleiben wir, die wir von einem Konflikt betroffen sind, im Dialog und bleiben darin in Verbindung. Wir haben uns angenähert und verstanden, wir haben aus unserem Konflikt gelernt, wie wir einander neu begegnen können. Wir sind bereit, unser Verhalten zu wandeln. Für uns und unsere Beziehung. Dann kann Versöhnung gelingen!
Versöhnung kann Jahre dauern und scheitern. Ihr geht eine selbstbestimmte und selbstverantwortliche Entscheidung voraus. Beide Seiten/Parteien müssen wollen. Jeder und jede für sich. Es ist nicht einfach, den Wunsch zur Versöhnung zu haben und auszusprechen, wenn ich nicht weiß, ob der oder die andere es auch will.
Manchmal zeigt sich auch, dass es in unserer Begegnung mit der Vergebung endet. Wir dürfen uns entscheiden, andere Wege zu gehen und uns entscheiden, dass wir miteinander nicht mehr weitergehen, weil wir an einem Punkt angelangt sind, wo Versöhnung nicht möglich ist. Das gegenseitige Verstehen auf dem Weg der Vergebung erleichtert den friedlichen Abschied. Beziehungen dürfen enden, wenn sich das Verhalten nicht wandeln kann, aus vielerlei Gründen.
Versöhnung ist….
Ein Dialog
mehr als Verzeihen
mehr als Vergebung
schwerer als ich dachte
heilsam für mich und Dich
die Bereitschaft mein Verhalten zu ändern
zäh und langwierig
Emotionsreich
Versöhnung ist…
Bewusstheit: mir über mein Verhalten und das, was es auslöst, im anderen bewusst zu werden
ein Prozess
berührend und bewegend
eine neue Zukunft
die Vergangenheit abschließend
Versöhnung ist…
Ein Bekenntnis: wir sind die Gleichen
Auseinandersetzung mit mir und der Welt der anderen
der Abschluss von Verzeihen und Vergeben
bringt inneren und äußeren Frieden
etwas, das jeder Mensch lernen darf
Versöhnung ist…
Schmerzlinderung
die Bereitschaft sich dem Konflikt zu stellen
unabdingbar
der barmherzige Blick auf mich und andere
ein Dienst für die Welt
das Herstellen von Gleichwürdigkeit
das auflösen von Urteilen
sich gegenseitig und die Situation annehmen.
Versöhnung ist kein leiser Kompromiss. Sie ist ein mutiger Schritt über die Grenze der Verletzung hinweg. Dort, wo Trennung war, beginnt sie – nicht mit Vergessen, sondern mit Anerkennung. Sie sieht den Schmerz, ohne ihn zu leugnen. Sie hört die Wut, ohne sich von ihr leiten zu lassen. Sie reicht die Hand, nicht weil alles gut ist, sondern weil es besser werden darf.
Versöhnung heilt die Welt, beendet Kriege, hebt die Trennung auf und schafft Verbundenheit.